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AutorenbildDavid von der Thannen

Wien Energie in der Krise: Aber warum eigentlich?

Seit dem vergangenen Wochenende geht es beim größten Stromanbieter Österreichs, der Wien Energie, Schlag auf Schlag. Nachdem sich bereits am Samstag Gerüchte gehäuft hatten, das Unternehmen könnte in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten stecken, folgte am Sonntag der laute Knall: Die Wien Energie benötigt vom Staat kurzfriste Finanzhilfen in Höhe von bis zu 6 Milliarden Euro – sonst drohen ihren knapp 2 Millionen Kunden im schlimmsten Fall sogar Versorgungsausfälle!


Aber warum?

Dabei war anfangs noch vollkommen unklar, woher die plötzlichen Finanzprobleme der Wien Energie kommen. Hat sie schlicht – wie andere Energieanbieterinnen auch – mit den Preisschwankungen der vergangenen Monate zu kämpfen oder sich doch viel eher selbstverschuldet in eine finanzielle Notlage gebracht? Medien und Politik berichteten teilweise sogar, das Unternehmen hätte Milliardenbeträge an der Energiebörse verspekuliert und stehe womöglich kurz vor dem Ruin. Auch der Rechnungshof hat bereits angekündigt, die Geschäftspraktiken der Wien Energie nun genauer unter die Lupe nehmen zu wollen.

Die Wien Energie selbst bestreitet derartige Vorwürfe zwar vehement, räumt aber zumindest ein, man habe mit den aktuellen Entwicklungen an der Strombörse zu kämpfen. Dort hat Wien Energie nämlich zahlreiche Termingeschäfte abgeschlossen.


Aber was ist das eigentlich?

Bei Termingeschäften verpflichtet sich die Verkäuferin gegenüber der Käuferin, eine bestimmte Menge Strom zu einem späteren Zeitpunkt für einen fix vereinbarten Preis zu liefern. Da die Vertragsparteien bei Abschluss des Stromliefervertrags natürlich noch nicht wissen, wie sich der Markt- und Börsenpreis für Strom bis zum Lieferzeitpunkt entwickeln wird, gehen sie mit Termingeschäften immer ein gewisses Risiko ein.


Beispiel: Die Wien Energie schließt am 1. Jänner ein Termingeschäft darüber ab, am 1. Juni eine bestimmte Menge Strom um 100 € zu liefern. Wenn der Marktpreis für Strom am 1. Juni aber plötzlich 150 € beträgt, wird sich das Unternehmen naturgemäß ärgern: Schließlich hätte man den Strom nun deutlich teurer an die Kundin bringen können.

Damit nimmt das Problem der Wien Energie aber erst seinen Anfang: Weil die Strombörse verpflichtet ist, Käuferin und Verkäuferin für Verluste bei Termingeschäften zu entschädigen, verlangt sie von den Vertragspartnerinnen hohe Sicherheitsleistungen, sozusagen eine Kaution. Auf unser Beispiel gewendet heißt das:

Wenn Wien Energie den Strom am 1. Juni nicht liefern kann, muss die Strombörse einspringen und die vereinbarte Menge Strom an den Kunden liefern. Dafür muss die Strombörse aber erst neuen Strom – natürlich zum Marktpreis von nun 150 € - ankaufen.


Genau für solche Fälle hebt die Strombörse von den Vertragsparteien also schon beim Abschluss von Termingeschäften eine Sicherheitsleistung (sogenannte „Margins“) in Höhe der maximal zu erwartenden Preissteigerung ein, die bei ordnungsgemäßer Stromlieferung aber natürlich wieder zurückgezahlt wird. Dabei gilt logischerweise: Je höher die erwarteten Preisschwankungen, desto höher die Sicherheitsleistung! Und nachdem die Preise am Strommarkt aktuell sprichwörtlich „durch die Decke schießen“, werden derzeit besonders hohe Sicherheitszahlungen fällig. Nach eigener Aussage schafft es Wien Energie derzeit kaum noch, die geforderten Sicherheiten für ihre Termingeschäfte zu leisten.


Und woher soll das Geld nun kommen?

Weil sie die vorübergehenden Sicherheitsleistungen nicht selbst leisten kann, versucht Wien Energie aktuell, sich Geld vom Staat auszuborgen – also einen Kredit aufzunehmen.

Dabei sind die Unternehmensverantwortlichen zuerst an die Stadt Wien herangetreten. Diese ist nämlich die Eigentümerin der Wiener Stadtwerke, denen wiederum die Wien Energie gehört. Letztlich handelt es sich damit auch bei der Wien Energie um ein städtisches Unternehmen.

In den vergangenen Wochen hat der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig daraufhin bereits von einer Notkompetenz (§ 92 der Wiener Stadtverfassung) Gebrauch gemacht und der Wien Energie zwei Kredite in Höhe von insgesamt 1,4 Milliarden Euro gewährt. Doch das dürfte nicht reichen.


Darum haben sich die Stadt Wien und die Wiener Stadtwerke jetzt an die österreichische Bundesregierung gewendet. Sie, genauer gesagt: die Bundesfinanzierungsagentur, soll jetzt helfen. Die Bundesfinanzierungsagentur verwaltet nämlich das Staatsvermögen und kann zum Wohle der Gesellschaft die verschiedenen Einrichtungen des Staates unterstützen.

Am Mittwoch haben die Bundesregierung und die Stadt Wien bekanntgegeben, sich in ihren Verhandlungen auf einen Kredit von weiteren 2 Milliarden Euro geeinigt zu haben: Dieser Kredit wird an die Stadt Wien ausbezahlt und kann direkt an Wien Energie weitergegeben werden.


Viele offene Fragen

Als wäre das alles nicht schon kompliziert genug, stellen sich in dieser Causa noch weitere Fragen, die auf der politischen Bühne hitzig diskutiert werden. Warum ist die Wiener Stadtregierung nicht bereits viel früher an den Bund oder die Medien herangetreten, um die Öffentlichkeit über die gravierenden Zahlungsprobleme der Wien Energie zu informieren? Und warum sind andere Stromkonzerne (noch) nicht im gleichen Ausmaß in Schwierigkeiten geraten wie die Wien Energie? Befriedigende Antworten hierauf stehen noch aus und werden vermutlich erst im Laufe der kommenden Wochen allmählich an die Öffentlichkeit sickern.



Kurz gesagt

  • Die Wien Energie ist in grobe finanzielle Schwierigkeiten geraten: Expertinnen aus Politik und Wirtschaft sind sich aktuell noch nicht einig darüber, ob diese Schwierigkeiten auf spekulative Deals der Wien Energie oder einfach auf die dramatischen Preisanstiege auf dem Strommarkt zurückzuführen sind.


  • Klar ist: Wien Energie hat zahlreiche Termingeschäfte über den Verkauf von Strom abgeschlossen. Bei solchen Termingeschäften muss der Verkäufer an der Strombörse kautionsähnliche Sicherheitsleistungen hinterlegen, die bei zu erwartenden Preissteigungen besonders hoch sind.

  • Die Stadt Wien ist Eigentümerin der Wien Energie. Weil die Wien Energie das Geld für die notwendigen Sicherheitsleistungen selbst nicht aufbringen kann, wurden ihr von der Stadt Wien bereits 2 Kredite gewährt. Nun nimmt die Stadt selbst von der Finanzierungsagentur des Bundes einen Kredit auf, um die Wien Energie auch weiterhin mit ausreichend Kapital versorgen zu können.

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