Tätige Reue: Die “get out of jail free”-Karte?
Teilweiser Freispruch – so lautete das nicht rechtskräftige Strafurteil für Sophie Karmasin am vergangenen Dienstag. Die ehemalige Bundesministerin für Familie und Jugend wurde zwar wegen wettbewerbs- beschränkender Absprachen bei Vergabeverfahren zu 15 Monaten bedingter Freiheitsstrafe verurteilt. Vom Vorwurf des schweren Betrugs wurde sie jedoch freigesprochen – obwohl sie ihn nach Ansicht des Gerichts begangen hat. Wie das sein kann? Die Antwort lautet: Tätige Reue. Die sogenannte tätige Reue ist in
§ 167 des Strafgesetzbuchs (StGB) geregelt. Dieser sieht vor, dass die Strafbarkeit bei einer Reihe von Delikten, die im Gesetz aufgezählt sind (z. B. Sachbeschädigung, Hehlerei und Betrug), „durch tätige Reue aufgehoben“ wird. Juristinnen sprechen deshalb von einem Strafaufhebungsgrund: § 167 StGB beseitigt die Strafbarkeit einer bereits begangenen Straftat.
So auch im Fall von Sophie Karmasin: Ihr wurde vorgeworfen, unzulässigerweise auch nach ihrem Ausstieg aus der Politik weiterhin ihr Ministerinnengehalt bezogen zu haben. Dadurch ist der Republik Österreich ein Schaden von mehreren Zehntausend Euro entstanden und der Tatbestand des schweren Betrugs erfüllt. Obwohl ihre Tat laut Gericht „zweifellos“ erwiesen und „eindeutig dokumentiert“ war, sie also „mit voller Absicht und wissentlich den Betrug begangen“ hat, bekam sie für diesen wegen tätiger Reue keine Strafe.
„Sorry“ reicht nicht
Damit ein Gericht von tätiger Reue ausgeht, reicht es allerdings nicht, eine Tat einfach nur zu bereuen, also sie zu bedauern und sich vielleicht auch noch beim Opfer zu entschuldigen. Vielmehr muss eine rechtzeitige, freiwillige und vollständige Schadensgutmachung geleistet werden.
Schadensgutmachung bedeutet, dass eine Täterin eine (z. B. gestohlene) Sache zurückgibt oder dem Opfer Schadenersatz in Geld leistet. Rechtzeitig ist die Schadensgutmachung nur dann, wenn die Straftäterin aktiv wird, bevor die Strafverfolgungsbehörden (also insbesondere die Staatsanwaltschaften und die Kriminalpolizei) von der Tat und dem Verschulden der Täterin erfahren haben.
Die Freiwilligkeit setzt voraus, dass eine Täterin nicht zur Wiedergutmachung gezwungen wird. Wenn beispielsweise ein Opfer eine Täterin unter Androhung von Waffengewalt dazu auffordert, eine gestohlene Sache zurückzugeben, liegt keine Freiwilligkeit vor. Die bloße Drohung mit einer Strafanzeige dagegen schließt Freiwilligkeit noch nicht aus.
Durch das Kriterium der Vollständigkeit soll schließlich erreicht werden, dass der ganze aus einer Tat entstandene Schaden gutgemacht wird. Nur 90 % der Schadenssumme zurückzuzahlen würde daher nicht ausreichen.
Von anonymer Überweisung bis zur Selbstanzeige
Es bestehen unterschiedliche Arten tätiger Reue. Eine Täterin kann die Schadensgutmachung etwa direkt bei ihrem Opfer betreiben, ihm z. B. Geld übergeben oder überweisen (auch anonym!). Es reicht sogar aus, sich vertraglich dazu zu verpflichten, Schadensgutmachung binnen einer bestimmten Zeit zu leisten (wobei die Strafbarkeit der Tat auflebt, wenn die Verpflichtung nicht eingehalten wird). Alternativ könnte eine Täterin die Sache oder den Schadenersatz auch im Rahmen einer Selbstanzeige bei einer Strafverfolgungsbehörde hinterlegen.
Grund für diese Möglichkeit der Strafaufhebung ist vor allem, dass sie im Interesse der durch eine Straftat Geschädigten liegt: So kommen Opfer zu einer raschen und einfachen Wiedergutmachung des erlittenen Schadens. Die tätige Rue ist eine Besonderheit des österreichischen Strafrechts, die es etwa in Deutschland nicht gibt.
„Ob einem das gefällt oder nicht“
Wie war es nun in der Causa Karmasin? Da kam der Ex-Ministerin zugute, dass die Medien ihr auf der Spur waren. Die ZIB 2 hat nämlich am 7. März 2022 berichtet, dass Karmasin ihr Ministerinnengehalt weiter bezogen hatte. Sie veranlasste deshalb zwei Tage später (am 9. März) die Rückzahlung von 62.000 Euro über ihren Rechtsvertreter. Von der WKStA wurde sie damals wegen dieser Sache noch nicht verfolgt, bis zum 10. März ist aus dem Akt kein Tatverdacht ersichtlich. Deshalb sei die Rückerstattung des rechtswidrig bezogenen Geldes tatsächlich noch rechtzeitig erfolgt, „ob einem das gefällt oder nicht“, meinte der Vorsitzende Richter in dem Fall.
Kurz gesagt:
Für bestimmte, in § 167 des Strafgesetzbuchs angeführte Delikte ist tätige Reue möglich. Das bedeutet, dass eine Täterin nicht bestraft wird, obwohl sie eine Straftat begangen hat.
Für eine tätige Reue muss eine rechtzeitige, freiwillige und vollständige Schadensgutmachung geleistet werden.
Der Zweck der tätigen Reue besteht darin, den Geschädigten von Straftaten zu einer raschen und einfachen Wiedergutmachung des erlittenen Schadens zu verhelfen.
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