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AutorenbildSebastian Öhner

The Future Starts Now – Klimaschutz auf dem Prüfstand



„Sensationserfolg“ und „historisch“ wurde in der Medienlandschaft eine jüngst ergangene Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über eine Verfassungsbeschwerde zum deutschen Klimaschutzgesetz (dKSG) genannt. Was genau haben die Karlsruher Höchstrichter hier also entschieden und welche Schlüsse können daraus auch für Österreich gezogen werden?


Thematisch kann die Beschwerde (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 - 1 BvR 2656/18 -, Rn. 1-270) den sogenannten „Klimaklagen“ zugeordnet werden. Darunter versteht man Gerichtsverfahren, die sich im Kern um Fragen der Umsetzung von Umwelt- und Klimaschutzbestimmungen drehen. Diese Art von Verfahren werden dabei immer häufiger: Weltweit haben bereits mehrere Verfassungsgerichtshöfe Entscheidungen zu Fragen des Klimaschutzes getroffen. In einem bemerkenswerten Urteil wurden zB schon im Jahr 2019 bei der „Urgenda-Klage“, benannt nach der gleichnamigen Umweltschutzorganisation, die Niederlande durch eine höchstgerichtliche Entscheidung des zuständigen Hoge Raad dazu verpflichtet, ihre Bemühungen im Klimaschutz zu erhöhen. Andererseits stehen unter anderem auch das Verfahren rund um die 3. Piste auf dem Flughafen Schwechat oder die erst kürzlich vom VfGH zurückgewiesene österreichische Klimaklage beispielhaft für Klimaklagen, bei denen anderen Gesichtspunkten mehr Gewicht eingeräumt wurde.


Der globale Schutz des Klimas – woher kommen Klimaschutzgesetze?


Aber zurück zu der Entscheidung des BVerfG: Den Ausgangspunkt stellen auch hier die im Pariser Klimaübereinkommen festgelegten Ziele dar. Dieses Übereinkommen legt einen globalen Rahmen zur Bekämpfung des Klimawandels fest – mit dem großen Ziel, die Erderwärmung unter 2° bzw 1,5° Celsius zu halten. Diesem Ziel, zu dem sich im Dezember 2015 auf der Pariser Klimakonferenz (COP21) 196 Vertragsparteien verpflichtet haben, ist mittels staatlicher Gesetze zu einer effektiven Umsetzung zu verhelfen. Die Umsetzung findet in Deutschland unter anderem im Rahmen des dKSG statt, das als Ziel die Treibhausgasneutralität bis 2050 festlegte. Dabei ist das dKSG nur darauf ausgerichtet, den grundsätzlichen Rahmen für die Zielerreichung vorzugeben und eine Grundlage für konkrete Maßnahmen zu schaffen. Zusätzlich ist mit Artikel 20a Grundgesetz in Deutschland das Ziel des Klimaschutzes auch verfassungsrechtlich verankert. Es handelt sich hier um eine Staatszielbestimmung, die zwar keine subjektiven Rechte – also Rechte, die Einzelne einklagen können – enthält, aber klarstellt, dass der Staat den Klimaschutz als Aufgabe hat.


Generationengerechtigkeit im Fokus


Genau an diesen Überlegungen setzten die – zum Teil sehr jungen – Beschwerdeführenden an. Inhaltlich warfen sie in ihrer Beschwerde auf, dass der zeitliche Rahmen, der innerhalb des dKSG konkret bestimmt wurde, um die darin enthaltenen Klimaschutzmaßnahmen zu treffen, nicht weitreichend genug ist. Denn in § 3 Abs 1 dKSG und § 4 Abs 1 in Verbindung mit Anlage 2 dKSG war jeweils das Jahr 2030 als zeitliche Grenze festgelegt. Darüber hinaus, also für den Zeitraum bis 2050, waren jedoch keine konkreten Regelungen festgehalten. Es wurde lediglich auf § 4 Abs 6 dKSG verwiesen, in dem allgemein geregelt war, dass neue angepasste Klimaschutzregelungen erarbeitet werden sollen, ohne dieser aber zu präzisieren. Die Beschwerdeführenden argumentierten, dass eine drastische Verschärfung der Klimaschutzregelungen nach 2030 unter Berücksichtigung klimawissenschaftlicher Fakten geradezu unausweichlich wäre, wenn die angesprochene Treibhausgasneutralität bis 2050 auch tatsächlich erreicht werden soll. Damit brachten sie einen neuen Begriff ins Spiel, der der gesamten Entscheidung seinen Stempel aufdrückt: die Generationengerechtigkeit.


Die Generationengerechtigkeit dreht sich vereinfacht gesagt darum, dass die Nachwelt der zukünftigen Generation in einem Zustand hinterlassen bzw übergeben werden muss, der mit dem aktuellen möglichst vergleichbar ist. Und dass dies durch die kritisierten Bestimmungen nicht erreicht werden könne, stellt den zentralen Punkt der Beschwerde und der Entscheidung dar. In der Entscheidung spricht sodann auch das BVerfG von der „unumkehrbar angelegten rechtlichen Gefährdung künftiger Freiheit“, wovon „praktisch jegliche Freiheit potentiell betroffen“ ist. Mit Freiheiten sind hier verfassungsgesetzlich gewährleistete Grundrechte, wie zB das Recht auf Leben, das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums oder das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemeint. Diese Rechte sind laut BVerfG durch die zu niedrig angesetzten Klimaschutzbestimmungen und die damit einhergehenden negativen Auswirkungen gefährdet. Es verweist dabei darauf, dass nicht einer Generation zugestanden werden kann, unter vergleichsweise milden Einschränkungen im Zusammenhang mit dem Klimaschutz, immense CO2-Emissionen zu emittieren, wenn damit auf vorhersehbare Weise einhergeht, dass nachfolgende Generationen ungleich größeren Freiheitseinbußen ausgesetzt wären. Insgesamt stellte das BVerfG somit fest, dass § 3 Abs 1 Satz 2 und § 4 Abs 1 Satz 3 dKSG aufgrund der Tatsache, dass keine konkreten Minderungsziele für die Zeit ab 2031 festgeschrieben wurden, verfassungswidrig sind. Sie sind also mit der Schutzpflicht des Staates, die auch die Verpflichtung umfasst, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen, und in weiterer Folge auch mit der verfassungsrechtlich festgelegten Pflicht zum Klimaschutz nicht vereinbar. Schlussendlich argumentierte der BVerfG, dass es der „verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde“, die besprochenen Bestimmungen des dKSG gleich vollkommen aufzuheben und somit die Situation zu schaffen, dass es bis 2030 keinerlei festgelegten Minderungsziele gibt. Deshalb entschied das Gericht, dass die bestehenden Regelungen vorerst noch anwendbar bleiben sollen, setzte dem deutschen Gesetzgeber aber gleichzeitig eine Frist bis zum 31. Dezember 2022, um die festgestellten Lücken zu ergänzen.


Müssen auch Unternehmen das Klima schützen?


Vergangene Woche gab es darüber hinaus den nächsten Paukenschlag: Eine erstinstanzlich erfolgreiche Klimaklage gegen den Öl- und Erdgaskonzern Shell. Dieses Urteil des Bezirksgerichts Den Haag war nämlich das erste, das keinen Staat, sondern ein privates Unternehmen – das allerdings mehr CO2 emittiert als so mancher Staat – zur drastischen Reduktion des CO2-Ausstoßes verpflichtet. Damit wurde klimaschutzrechtliches Neuland betreten.


Eine Entscheidung mit Folgen?


Für Österreich hat die Entscheidung des deutschen BVerfG, genauso wie auch jene des Bezirksgerichts in den Haag, keine direkten Auswirkungen. Bis dato hat sich der österreichische Verfassungsgerichtshof, wie bereits oben geschildert, in seinen Entscheidungen, bei denen er sich mit Fragen des Klimaschutzes auseinandersetzte, zurückhaltend gezeigt. Trotzdem wird es interessant sein zu beobachten, ob sich dies im Angesicht der größer werdenden Zahl erfolgreicher Klimaklagen ändern wird.


Kurz gesagt

  • Immer mehr verfassungsgerichtliche Entscheidungen greifen die Nichteinhaltung von Klimaschutzzielen auf und machen einen entsprechenden Bedarf an Neuregelungen deutlich.

  • Durch die höchstgerichtlichen Erwägungen über mögliche Folgen des Klimawandels wurde klargestellt, dass im Schutzbereich der Klimaschutzgesetze die zukünftigen Generationen eine wichtige Rolle spielen.

  • Höchstgerichtliche Entscheidungen können eine starke Position einnehmen, wenn es um die Umsetzung rechtlicher Verpflichtungen geht, die sich ein Staat auferlegt hat.

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