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AutorenbildNikolaus Handig

Stichwort Lindemann: Wann strafrechtlich ermittelt wird

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat ihr Ermittlungsverfahren gegen Till Lindemann, den Sänger der Band „Rammstein“, eingestellt: Für den Verdacht, er könnte Sexualdelikte begangen und gegen das deutsche Betäubungsmittelgesetz verstoßen haben, hätte es keine Anhaltspunkte gegeben. Ob es eine solche Einstellung auch in Österreich gegeben hätte, wann ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren überhaupt eingeleitet wird und was braucht es, damit die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt – all das erfährst du in diesem Beitrag.


Wer sich für Strafrecht interessiert, muss jedenfalls diese zwei Gesetze kennen: das Strafgesetzbuch (StGB) und die Strafprozessordnung (StPO). Das StGB enthält neben allgemeinen Regelungen insbesondere eine ganze Menge an Straftaten, wie z. B. Diebstahl, Raub oder Mord. Die StPO dagegen beinhaltet keine solchen Straftatbestände, sondern regelt das Verfahren, das von einem Anfangsverdacht über eine Anklage bis zum Urteil und vielleicht sogar noch auf den Rechtsmittelweg führen kann – oder eben auch zur Einstellung.


Am Anfang steht ein Verdacht

Damit wären wir auch schon beim Ausgangspunkt angelangt – der heißt „Anfangsverdacht“. Ein solcher Anfangsverdacht liegt gemäß § 2 Absatz 3 StPO vor, „wenn auf Grund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine Straftat begangen worden ist“. Vermutungen und Spekulationen genügen dafür noch nicht, eine konkret begründete Anzeige (etwa vom Opfer eines Verbrechens) kann dagegen einen Anfangsverdacht auslösen. Sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung eines solchen Anfangsverdachts ermitteln, beginnt das Strafverfahren.


Ermittelt wird, indem Beweise aufgenommen werden. Klassische Beweismittel sind etwa die Einvernahme von Zeuginnen und Beschuldigten, Tatrekonstruktionen oder Gutachten von Sachverständigen. Die Staatsanwaltschaft leitet die Ermittlungen und muss dabei sowohl alle belastenden als auch alle entlastenden Tatsachen zusammentragen, die für die Beurteilung des Falls von Bedeutung sind. Kommt sie zu dem Schluss, dass „auf Grund ausreichend geklärten Sachverhalts eine Verurteilung nahe liegt“, darf und muss sie Anklage erheben – so steht es in § 210 Absatz 1 StPO.


Fifty-fifty reicht nicht

„Nahe liegt“ eine Verurteilung dann, wenn mit einfacher Wahrscheinlichkeit ein Schuldspruch zu erwarten ist. Wenn die Verurteilungswahrscheinlichkeit über 50 % liegt, hat die Staatsanwaltschaft anzuklagen – sie muss sich also nicht ganz sicher sein.


Das Ermittlungsverfahren kann einen Tatverdacht aber nicht nur erhärten, sondern auch entkräften. Wenn kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung der Beschuldigten besteht, hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren einzustellen: Das ist dann der Fall, wenn auf Basis der Beweisergebnisse des Ermittlungsverfahrens eine Verurteilung eben nicht nahe liegt. Eine ähnliche Regelung kennt auch die deutsche Strafprozessordnung. Auf deren Grundlage hat die Staatsanwaltschaft Berlin das Verfahren gegen Till Lindemann eingestellt. In einer Presseaussendung dazu führte sie aus:


„Die in der Presseberichterstattung wiedergegebenen Angaben von Zeuginnen und Zeugen haben sich durch die Ermittlungen nicht bestätigt. Mutmaßliche Geschädigte haben sich bislang nicht an die Strafverfolgungsbehörden gewandt, sondern ausschließlich – auch nach Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens – an Journalistinnen und Journalisten, die sich ihrerseits auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen haben. Die Möglichkeit, etwaige Tatvorwürfe ausreichend zu konkretisieren, bestand daher ebenso wenig wie die, einen Eindruck von der Glaubwürdigkeit der mutmaßlichen Geschädigten und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben im Rahmen von Vernehmungen zu gewinnen.“


Eine derart mangelhafte Beweislage wie im Fall Lindemann hätte wohl auch nach österreichischem Recht dazu geführt, dass ein Verfahren eingestellt wird.


Außerdem …

Daneben bestehen übrigens noch weitere Gründe, warum ein Verfahren eingestellt werden kann. Dazu zählt etwa, dass die dem Ermittlungsverfahren zu Grunde liegende Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist oder sonst die weitere Verfolgung der Beschuldigten aus rechtlichen Gründen unzulässig wäre (wenn die Tat z. B. in Notwehr erfolgt ist). Außerdem gibt es die Einstellung wegen Geringfügigkeit, die allerdings nur bei leichteren Delikten (z. B. einer leichten Körperverletzung) in Frage kommt.


Abgesehen von Anklage und Einstellung kann ein Strafverfahren übrigens auch mit einer Diversion enden: Dabei erfolgt keine formelle Verurteilung, allerdings unterwirft sich die Beschuldigte einer belastenden Maßnahme (z. B. der Ableistung gemeinnütziger Arbeit oder Zahlung eines Geldbetrages).


Kurz gesagt

  • Ein Strafverfahren beginnt, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung eines Anfangsverdachts ermitteln. Ein solcher liegt vor, wenn auf Grund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine Straftat begangen worden ist.

  • Wenn die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zu dem Ergebnis kommt, dass eine Verurteilung „nahe liegt“, also die Verurteilungswahrscheinlichkeit über 50 % beträgt, hat sie anzuklagen.

  • Wenn auf Basis der Beweisergebnisse des Ermittlungsverfahrens eine Verurteilung nicht nahe liegt, gibt es keinen tatsächlichen Grund zur weiteren Verfolgung, und das Verfahren ist einzustellen.

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