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AutorenbildDavid von der Thannen

Selbstverteidigung durch Angriff auf ein Krankenhaus? Das sagt das Völkerrecht!

Im Rahmen des grassierenden Kriegs im Nahen Osten sind israelische Soldaten in das größte Krankenhaus im Gazastreifen, das al-Schifa-Hospital in Gaza-Stadt, eingedrungen. Während Israel sich auf die Nutzung des Spitals als militärisches Kommandozentrum beruft, reagiert die internationale Gemeinschaft mit viel Sorge und Kritik. Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation bezeichnete das Eindringen in das Spital etwa als „völlig inakzeptabel“. Doch was sagt eigentlich das Völkerrecht dazu?


Seit nunmehr über einem Monat blickt die Weltöffentlichkeit nach Israel und (insbesondere) in den Gazastreifen. Nach einem Angriff der in Gaza regierenden Hamas auf Israel führt Israel zurzeit eine umfassende Militäroperation durch, die – nach offiziellen Angaben –  zwei Ziele verfolgt: Zum einen sollen jene knapp 240 Geiseln, die von der Hamas im Zuge des Angriffs vom 7. Oktober entführt wurden, befreit werden. Zum anderen strebt Israel darüber hinaus die „Vernichtung“ der Hamas an, wie Regierungschef Benjamin Netanjahu kürzlich in einer Fernsehansprache verkündete.


Wer darf sich selbst verteidigen? Und wann?

Zur völkerrechtlichen Rechtfertigung dieser Handlungen könnte sich Israel auf das sogenannte Selbstverteidigungsrecht berufen, das in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen festgehalten ist. Nach dieser Bestimmung kommt den Mitgliedern der Vereinten Nationen „im Fall eines bewaffneten Angriffs“ das „naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ zu.

Ursprünglich waren die Verfasser der UN-Charta wohl davon ausgegangen, dass ein solches Selbstverteidigungsrecht nur dann bestehen kann, wenn der bewaffnete Angriff von einem anderen Staat ausgeht – nicht aber dann, wenn bloß eine paramilitärische Gruppe oder Terrororganisation einen Angriff verübt. Mittlerweile wird im Völkerrecht allerdings auch die Auffassung vertreten, dass solche Angriffe wie jener der Hamas zur Ausübung des Selbstverteidigungsrechts berechtigen können.


Wo Selbstverteidigung aufhört

Aus völkerrechtlicher Sicht stellt sich damit vor allem die Frage, ob Israel das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht Im Gazastreifen verhältnismäßig ausübt. Denn selbst im Krieg ist keineswegs alles erlaubt. Vielmehr legt das sogenannte humanitäre Völkerrecht bestimmte Regeln fest, an die sich auch Kriegsparteien zu halten haben. Diese Regeln finden sich insbesondere in den 4 Genfer Konventionen, die allesamt von 196 Staaten unterzeichnet worden sind.

Die 4. Genfer Konvention widmet sich explizit dem Schutz „von Zivilpersonen in Kriegszeiten“. Als Zivilpersonen sind dabei alle Personen zu verstehen, die nicht selbst an kriegerischen Handlungen teilnehmen. Die Konvention verlangt von allen Kriegsparteien, dass Zivilpersonen „unter allen Umständen mit Menschlichkeit“ behandelt werden müssen.


Krankenhäuser – eine kriegsfreie Zone?

Für den Schutz von Krankenhäusern sieht die 4. Genfer Konvention sogar eine eigene Bestimmung vor: Ihr Artikel 18 regelt, dass

Zivilspitäler, die zur Pflege von Verwundeten, Kranken, Schwachen und Wöchnerinnen eingerichtet sind, unter keinen Umständen das Ziel von Angriffen bilden [dürfen]; sie sollen jederzeit von den am Konflikt beteiligten Parteien geschont und geschützt werden.

Damit genießen Krankenhäuser nach dem humanitären Völkerrecht einen ganz besonderen Schutzstatus. Auch dieser besteht aber nicht vollkommen uneingeschränkt. Artikel 19 der Konvention bestimmt nämlich, dass der besondere Schutz von Krankenhäusern dort endet, wo dieses nicht mehr für humanitäre Aufgaben, sondern zur „Schädigung des Feindes“ verwendet wird. Damit sind Situationen gemeint, in denen Krankenhäuser als Militärstützpunkte dienen oder aus ihnen militärisches Gerät abgefeuert wird.


Und genau diesen Vorwurf erhebt Israel im konkreten Fall. Nach israelischen Geheimdienstinformationen soll sich direkt unter dem Krankenhausgelände nämlich eine wichtige Zentrale der Hamas befinden, durch die das Krankenhaus seinen Schutzstatus verlieren könnte.


Wichtig dabei ist aber: Dass ein Krankenhaus tatsächlich zur Schädigung des Feindes genutzt wird, muss aus völkerrechtlicher Sicht jene Partei beweisen, von welcher der Angriff auf das Spital ausgeht. Diese Beweislast liegt damit im konkreten Fall bei Israel: Zu diesem Zweck hat der Staat bereits einige Informationen (z. B. Fotos und 3D-Modelle) veröffentlicht, eine Verifizierung durch einen nicht am Konflikt beteiligten Akteur ist allerdings ausständig.


Zusätzlich ist selbst bei grundsätzlicher Erlaubtheit eines Angriffs auf ein Spital stets verhältnismäßig vorzugehen. Keinesfalls dürfte man etwa unzählige zivile Opfer in Kauf zu nehmen, weil man in einem Krankenhaus eine Hand voll zurückgelassener Waffen vermutet. Um die völkerrechtliche Zulässigkeit beurteilen zu können, muss man also über die genauen örtlichen Gegebenheiten Bescheid wissen.

Letztlich lässt sich damit aktuell noch nicht mit Sicherheit sagen, inwieweit das militärische Vorgehen gegen das al-Schifa Krankenhaus humanitäres Völkerrecht verletzt. Davon unabhängig steht aber schon jetzt fest: Das menschliche Leid auf beiden Seiten ist in jedem Fall unermesslich.


Kurz gesagt


  • Auch im Krieg ist nicht alles erlaubt. Das humanitäre Völkerrecht stellt Regeln auf, an die sich Kriegsparteien halten müssen.

  • Die 4. Genfer Konvention betrifft den Schutz von „Zivilpersonen in Kriegszeiten“. Sie enthält auch eine eigene Regelung zum Schutz von Krankenhäusern. Diese dürfen grundsätzlich nicht zum Ziel militärischer Angriffe werden. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn ein Krankenhaus zur Schädigung des Feindes – etwa als Militärbasis – benutzt wird.

  • Für die missbräuchliche Nutzung eines Krankenhauses trägt jene Kriegspartei die Beweislast, die den Angriff auf das Spital verübt. Dafür wurden im aktuellen Fall von Israel Dokumente vorgelegt, eine zuverlässige rechtliche Beurteilung des Sachverhalts ist bis dato aber noch nicht möglich.

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