Kollektivverträge: Better Together
Seit Monaten liest man davon in den Nachrichten: Die „Metaller“ verhandeln über ihre Löhne. Genauer gesagt fordern die Interessenvertretungen der Beschäftigten in der metalltechnischen Industrie eine Lohnerhöhung von 11,6 %. Argument dafür ist die hohe Inflationsrate von 9,6 %. Dagegen kommt für die Industrievertreterinnen eine volle Abgeltung der Inflation nicht in Frage; sie bieten deutlich weniger an. Fünf Verhandlungsrunden sind bisher gescheitert. Ziel der Verhandlungen wäre ein Deal in Form eines „Kollektivvertrags“. Aber was ist das eigentlich genau?
Verträge, die Gesetzen ähneln
Kollektivverträge sind Vereinbarungen, die zwischen bestimmten Interessenvertretungen der Arbeitgeberinnen (AG) einerseits und der Arbeitnehmerinnen (AN) andererseits abgeschlossen werden. Darin wird dann zB der Mindestlohn, die Arbeitszeiten oder das Urlaubs- und Weihnachtsgeld festgelegt. In ihrem Geltungsbereich, zB in einer bestimmten Branche, binden diese Vereinbarungen dann alle AG und AN – obwohl diese Personen beim Vertragsschluss gar nicht persönlich beteiligt waren. Das ist besonders, denn normalerweise wirken Verträge nur zwischen den Vertragsparteien. Insofern wirken Kollektivverträge so ähnlich wie Gesetze. Diese Kraft wird ihnen durch § 2 des Arbeitsverfassungsgesetzes verliehen.
Wozu überhaupt Kollektivverträge?
Durch Kollektivverträge soll ein fairer Interessenausgleich zwischen AN und AG herbeigeführt werden. Beim Abschluss des Arbeitsvertrags besteht nämlich häufig ein Kräfteungleichgewicht: Der einzelnen AN könnte leichter ein Arbeitsvertrag „aufgezwungen“ werden, weil sie die (ungüstigen) Bedingungen entweder akzeptieren oder sich woanders bewerben muss, während die AG potentiell einer Vielzahl von Bewerberinnen gegenübersteht. Da bei Kollektivvertragsverhandlungen aber annähernd gleich starke Parteien auftreten (und zwar in der Regel die jeweilige Fachgewerkschaft und die Wirtschaftskammer), sind die Verhandlungspositionen ausgeglichener. Die AN können ihre Verhandlungsstärke vor allem durch die Möglichkeit zu streiken absichern.
Der Kollektivvertrag hat aber auch eine gewisse Friedensfunktion, weil die im Kollektivvertrag festgehaltenen Arbeitsbedingungen für eine gewisse Zeit feststehen und darüber nicht noch einmal gestritten wird. Denn arbeitsrechtlich wird der Streik als unzulässig angesehen, solange der Kollektivvertrag noch in Geltung ist.
Wer kann sie abschließen?
Die in der Praxis wichtigste Interessenvertretung, die für AG bei Kollektivvertragsverhandlungen auftreten kann, ist die Wirtschaftskammer (WKO). Auf der Seite der AN werden Kollektivverträge in der Regel vom Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) und den einzelnen Fachgewerkschaften (zB Gewerkschaft Öffentlicher Dienst) ausverhandelt. Dabei handelt es sich um einen Verein, dem in Österreich als einer der „Sozialpartner“ große Bedeutung zukommt.
Mehr zur "Sozialpartnerschaft"
Die Sozialpartnerschaft bezeichnet die Zusammenarbeit der wichtigsten Arbeitgeberinnen- und Arbeitnehmerinnenorganisationen (WKO, ÖGB, Arbeiter- und Landwirtschaftskammer) untereinander und mit der österreichischen Bundesregierung, um gemeinsame Lösungen in Wirtschafts- und Sozialthemen zu erreichen. Ihr Ziel ist es, Interessengegensätze durch Konsenspolitik zu lösen und offene Konflikte einzudämmen. Sie wird oft als einer der Gründe genannt, warum es in Österreich selten zu Streiks kommt. Allerdings wird an ihr auch kritisiert, dass die Lösungsfindung nicht öffentlich und ohne direkte Mitsprachemöglichkeit von Parlament und Bevölkerung erfolgt.
Für wen gelten sie?
Der Geltungsbereich wird im Kollektivvertrag selbst bestimmt. Räumlich kann er z.B. in ganz Österreich, oder aber auch nur in einem bestimmten Bundesland gelten. Fachlich gilt er dann für die ganze Branche, und zwar
für alle AG, die Mitglieder des abschließenden Arbeitgeberinnenverbands sind oder diesem zum Zeitpunkt des Kollektivvertragsabschlusses angehört haben und
alle bei einer solchen Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmerinnen (wobei es auch unterschiedliche Kollektivverträge für Arbeiterinnen und Angestellte geben kann, oder z.B. Ferialpraktikanten ausgenommen sein können).
Übrigens sieht das Arbeitsverfassungsgesetz vor, dass der aktuelle Kollektivvertrag in jedem Betrieb zur Einsichtnahme aufliegen muss. Der genaue Ort steht im Dienstzettel. Der Dienstzettel ist eine schriftlichen Aufzeichnung über die wesentlichen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, die die Arbeitgeberin grundsätzlich ausstellen muss.
Aber Achtung: Es gibt auch Bereiche des Wirtschaftslebens, für die noch kein Kollektivvertrag abgeschlossen ist (z.B. Freizeitbetriebe oder Vergnügungsbetriebe).
Was, wenn der Arbeitsvertrag „schlechter“ ist?
Da Kollektivverträge ähnlich wie Gesetze wirken, müssen sie auch gar nicht in den Arbeitsvertrag geschrieben werden – sie gelten völlig unabhängig davon. Wichtig ist, dass die Bestimmungen des Kollektivvertrags nicht durch den individuellen Arbeitsvertrag aufgehoben oder beschränkt werden können! Es handelt sich dabei ja oft um Mindeststandards, die nicht unterschritten werden sollen. Für die Arbeitnehmerin können deshalb nur „günstigere“ individuelle Abmachungen getroffen werden. Um festzustellen, ob eine Vereinbarung günstiger ist, müssen die inhaltlich zusammengehörigen Bestimmungen des Arbeitsvertrags mit den entsprechenden Bestimmungen des Kollektivvertrags verglichen werden. Was im Einzelfall günstiger ist, darüber lässt sich natürlich unter Juristinnen streiten.
Kurz gesagt
Kollektivverträge sind Vereinbarungen, die zwischen bestimmten Interessenvertretungen der Arbeitgeberinnen einerseits und der Arbeitnehmerinnen andererseits abgeschlossen werden. Dadurch soll ein fairer Interessenausgleich, insbesondere durch Mindestarbeitsbedingungen, geschaffen werden. Druckmittel der Arbeitnehmerinnen ist insbesondere die Möglichkeit zu streiken.
Für die Arbeitgeberinnen tritt bei den Verhandlungen in der Praxis die Wirtschaftskammer auf, für die Arbeitnehmerinnen der Österreichische Gewerkschaftsbund bzw. dessen einzelne Fachgewerkschaften.
Kollektivverträge wirken ähnlich wie Gesetze und binden die Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen einer Branche, obwohl diese beim Vertragsschluss nicht persönlich beteiligt waren. Die im Kollektivvertrag ausverhandelten Bestimmungen können durch individuelle Vereinbarungen zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin nicht aufgehoben oder beschränkt werden – nur „günstigere“ Abmachungen für die Arbeitnehmerin sind erlaubt.
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