EM-Edition: Der Fall Marko Arnautovic, oder: Wer im Fußball Recht spricht!
Spätestens seit dem Auftaktsieg vor einer Woche ist ganz Österreich im EM-Fieber! Mittendrin statt nur dabei: Marko Arnautović, der gegen Auftaktgegner Nordmazedonien zuerst mit einem sehenswerten Tor und kurz darauf mit einer wüsten Schimpftirade auf sich aufmerksam machte. Letztere brachte dem österreichischen Edelkicker bekanntlich ein viel diskutiertes Ermittlungsverfahren ein, an dessen Ende eine Sperre für Arnautović ausgesprochen wurde. Grund genug für uns, um einen genauen Blick auf diese Form rechtlicher Konfliktlösung zu werfen.
Der 13. Juni 2021 war ein denkwürdiger, geradezu historischer Moment für die österreichische Fußballnationalmannschaft. Erstmals in der heimischen Geschichte konnte auf der größten europäischen Fußballbühne – der UEFA Europameisterschaft – ein Sieg eingefahren werden. Doch dieses geschichtsträchtige Ereignis sollte rasch in den Hintergrund treten. Vielmehr geriet schon bald Stürmerstar und Enfant terrible Marko Arnautović, der seinem Ruf wieder einmal alle Ehre machte, in den öffentlichen Fokus. Im einen Moment hatte er noch in unnachahmlicher Manier den Treffer zum finalen 3:1 erzielt, nur einen Wimpernschlag später bedachte er – anstatt den angebrachten Freudentanz aufzuführen – seinen Gegenspieler mit einer Reihe übler Verbalinjurien. Diese fielen offenbar so derb aus, dass selbst Teamkapitän David Alaba zur Tat schritt, um seinen Freund und Mitspieler mit aller Kraft zu mäßigen.
Vergeblich: Schon kurz nach Spielende eröffnete die UEFA – die Union europäischer Fußballverbände – ein Ermittlungsverfahren gegen Arnautović, das für unseren Stürmerstar kein gutes Ende nehmen sollte: Er wurde schließlich wegen „Beleidigung eines Gegenspielers“ für das darauffolgende Spiel gegen die Niederlande (0:2-Niederlage) gesperrt.
So weit, so gut. Doch was im ersten Moment simpel scheint, wirft bei näherer Betrachtung eine Reihe von Fragen auf: Wieso hat kein Gericht, sondern ein Fußballverband über die Strafe für Marko Arnautović entschieden? Wie läuft ein solches Verfahren ab? Und geht es überhaupt fair von statten?
Strafen im Sport – Die UEFA als Richterin
Um diese Probleme nachvollziehen zu können, empfiehlt sich einleitend ein kurzer Blick auf die Strukturen des Profifußballs. Dieser ist auf nationaler Ebene in Vereinen organisiert, wobei alle Fußballvereine eines Landes – sofern sie an Wettbewerben teilnehmen wollen – dem jeweiligen nationalen Fußballverband beizutreten haben. Diese Rolle wird in Österreich vom Österreichischen Fußball-Bund (ÖFB) ausgefüllt. Eine Stufe darüber ist die UEFA angesiedelt, die als Dachverband aller europäischen Fußballverbände agiert. Die UEFA ist daher auch für die Organisation von Kontinentalbewerben wie der Europameisterschaft verantwortlich.
Schon aus den Vereinsstatuten der UEFA ergibt sich, dass alle nationalen Verbände die bei ihnen gemeldeten Vereine und Spieler zur Einhaltung der in den UEFA-Statuten festgelegten Regeln verpflichten müssen. Verstöße gegen diese Regeln können vor den verbandseigenen Disziplinargremien verfolgt und bestraft werden.
Damit ist ein wesentlicher Punkt angesprochen: Während die UEFA das Verhalten von Marko Arnautović im konkreten Fall sanktionieren kann, hat sie über Dein Verhalten selbstverständlich überhaupt keine Disziplinargewalt. Die Sanktionsmöglichkeit gegen Fußballspieler basiert nämlich auf einer vertraglichen Basis: Die an Wettbewerben teilnehmenden Spieler erklären sich gegenüber der UEFA ausdrücklich mit der Ahndung ihrer Disziplinarvergehen einverstanden. Notwendig ist das, weil grundsätzlich nur staatliche Gerichte – und keine Gremien privater Verbände – hoheitliche Akte wie Bestrafungen über andere Personen aussprechen dürfen.
Und die Schiedsrichterin?
Was zusätzlich für Verwirrung sorgt: Bekanntlich trifft am Fußballplatz die Schiedsrichterin die Entscheidungen. Wieso folgte die Strafe gegen Marko Arnautović dann aber nicht unmittelbar mittels roter Karte, sondern erst in Form einer nachträglichen Sperre? Auch dazu sieht die von der UEFA mit den Vereinen vereinbarte Rechtspflegeordnung ein geregeltes Verfahren vor: Demnach soll die Schiedsrichterin tatsächlich Herrin über das Spiel sein. Ihre Entscheidungen – etwa ob Foul, ob Abseits, ob Tor – können von den Disziplinargremien der UEFA nicht überprüft werden. Gegenstand von Disziplinarverfahren sind daher nur solche Vorfälle, die eine Schiedsrichterin entweder gar nicht beobachtet hat (so, dass sie keine Entscheidung darüber treffen konnte) oder die sie gar nicht beurteilen darf (etwa Bestrafung eines Vereins, dessen Fans für Ausschreitungen sorgen).
In der Causa Arnautović hat die UEFA ganz offenbar ermittelt, dass der schwedische Schiedsrichter die Verbalentgleisung des rot-weiß-roten Stürmers gar nicht wahrgenommen und somit auch nicht beurteilt hat. Nur dadurch konnte auch nachträglich noch ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden.
Dann also die Kontroll-, Ethik- und Disziplinarkammer
Ein solches Verfahren findet vor der sogenannten Kontroll-, Ethik- und Disziplinarkammer statt, die sich nicht aus staatlich geprüften Richterinnen, sondern aus zehn von der UEFA ernannten Expertinnen zusammensetzt. Sie prüfen Verdachtsmomente gegen Spielerinnen, Vereine und Verbände, wobei freilich nicht nur Beschimpfungen als Vergehen in Betracht kommen. Die Liste an geführten Ermittlungsverfahren ist vielmehr höchst umfangreich, zählt die Rechtspflegeordnung doch auch Rassismusvergehen, Doping, Korruption oder Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften als mögliche Strafgründe auf. Gegen Entscheidungen der Disziplinarkammer steht den Bestraften ein Rechtsmittel an eine Berufungskammer sowie der anschließende Gang vor den – ebenfalls vertraglich vereinbarten – Internationalen Sportgerichtshof (CAS) offen. Den Rechtsweg vor staatliche Gerichte hat die UEFA gegenüber ihren Verbänden hingegen ausgeschlossen.
Der wohl tragischste Fall in der Geschichte der Disziplinarkammer liegt schon lange zurück: Nach der Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion, bei der im Zuge einer Massenpanik 39 Zuschauer ums Leben gekommen waren, schloss die UEFA den FC Liverpool, dessen Fans sich im Zuge der Ereignisse aggressiv und undiszipliniert verhalten hatten, für sechs Jahre von allen europäischen Wettbewerben aus.
Das Ende der Causa Arnautović
Derart drastische Strafen standen Marko Arnautović natürlich zu keinem Zeitpunkt ins Haus. Denn für die Beleidigung eines anderen Spielers sieht die UEFA-Rechtspflegeordnung als Strafmaß die schlussendlich verhängte Sperre von einem Spiel vor. Nur wenn die Aussagen des Stürmerstars als rassistische Beleidigung qualifiziert worden wären, hätte diesem eine noch deutlich empfindlichere Bestrafung (Sperre von mindestens 10 Spielen) gedroht. In dieser Hinsicht förderte das Gutachten der von der Disziplinarkammer herangezogenen Lippenleserin jedoch offenbar keine Beweise zu Tage.
Damit steht einem Einsatz von Marko Arnautović im alles entscheidenden Gruppenspiel gegen die Ukraine am heutigen Abend nichts mehr im Wege! Bleibt nur zu hoffen, dass unsere Nummer 7 sich für dieses Mal einen etwas charmanteren Torjubel überlegt hat.
Kurz gesagt
Weil die UEFA keine staatliche Institution, sondern ein privater Verein ist, muss sie die Zuständigkeit von verbandseigenen Disziplinargerichten mit den ihr angehörenden Verbänden und Vereinen vertraglich vereinbaren.
Zwar ist die Schiedsrichterin für die Beurteilung von Spielsituationen zuständig, von ihr nicht wahrgenommene Szenen können aber auch nachträglich von der Kontroll-, Ethik- und Disziplinarkammer der UEFA untersucht werden.
Marko Arnautović wurde – entgegen vieler Medienberichte – für die „Beleidigung eines Spielers“ und nicht wegen „rassistischen Verhaltens“ gesperrt. Das ist insofern wichtig, als andernfalls eine deutlich härtere Strafe auszusprechen gewesen wäre.
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