50 Lieder, die gleichen vier Akkorde: Urheberrechte im Musikgeschäft
Was haben die Lieder Let it Be von den Beatles, Lady Gaga’s Pokerface und No Woman no Cry von Bob Marley gemeinsam? Sie beruhen auf den gleichen vier Akkorden. Bei nicht nur drei, sondern gleich 50 Liedern demonstriert das The Axis of Awesome in ihrem YouTube-Video „4 Chords“. Alles Plagiate? Dieser Frage müssen sich regelmäßig Superstars wie Ed Sheeran in Millionenprozessen um Urheberrechtsverletzungen stellen. Wie weit geht der Urheberrechtsschutz von Liedern tatsächlich? Ein Überblick.
„I woke up with a lovely tune in my Head“: Die Hitnummer Yesterday von den Beatles war Paul McCartney im Traum gekommen. Zu gut, um wahr zu sein? Das dachte sich der Frontman der Kultband wohl auch selbst. Wochenlang fragte er andere Musikerinnen und Produzentinnen, ob sie die Melodie kennen würden – „I didn’t believe I’d written it“, berichtete er später.
Die moderne Musikproduktion lebt vom Einfluss anderer Lieder. In manchen Musikwerken wird das Tongefüge bestehender Werke weitgehend übernommen, etwa in Form eines Covers, in anderen bloß ein charakteristischer Sound, eine Melodie oder die Grundakkorde. Fest steht: Beinahe jedes Lied enthält heutzutage Elemente, die von anderen Schöpferinnen stammen als denen des Lieds. Das hat mitunter weitreichende urheberrechtliche Konsequenzen. Geregelt sind diese in Österreich im Urheberrechtsgesetz (UrhG).
Welche Teile des Liedes sind geschützt?
Lieder genießen als „Werke der Tonkunst“ urheberrechtlichen Schutz, sofern sie eine gewisse schöpferische „Eigentümlichkeit“ (Individualität, Originalität) aufweisen. Der Oberste Gerichtshof (OGH) spricht dabei von einer „individuellen ästhetischen Ausdruckskraft“ und stellt dabei auf den Gesamteindruck ab.
Schutzgegenstand ist grundsätzlich das Tongefüge als Ganzes, also die Gesamtheit aus Melodie, Rhythmus, Instrumentierung, Aufbau der Tonfolge etc. Aber auch einzelne Liedteile – etwa die Melodie eines Liedes allein – können schutzfähig sein. Wie beim ganzen Lied ist dafür die Eigentümlichkeit Voraussetzung. Mit anderen Worten: Es muss sich um originelle Elemente handeln, die wiedererkennbar und dem Schöpfer zuordenbar sind. Ob das Kriterium der Eigentümlichkeit erfüllt ist, stellt im Prozess letztlich der Richter fest.
In der Vergangenheit hat der OGH etwa entschieden, dass der Refrain des Liedes Happy Birthday von Stevie Wonder urheberrechtlichen Schutz genießt. Hingegen ist der Refrain des Lieds 1001 Nacht laut dem Landgericht Frankfurt/Main nach dem vergleichbaren deutschen Urheberrechtsgesetz kein eigenständig geschützter Werkteil.
Mangels Eigentümlichkeit nicht schutzfähig sind laut Lehrmeinungen außerdem einzelne Töne und Akkorde sowie einfache Akkordverbindungen. Coldplay greift also mit dem Song The Scientist wohl nicht in die Urheberrechte von den Beatles ein, indem sie die Akkordfolge aus deren Song Let it Be übernehmen (I V VI IV). Dasselbe gilt für den musikalischen Stil oder Sound an sich: „Wie AC/DC zu klingen“, sollte der Rockband von nebenan nach österreichischem Recht nicht zum Verhängnis werden.
Welche Rechte haben Musizierende an ihren Liedern?
Der Schöpferin eines Liedes stehen bestimmte persönlichkeitsrechtliche und vermögensrechtliche Befugnisse zu. Einerseits schützt das UrhG die geistigen Interessen der Urheberin. Sie kann z. B. bestimmen, ob und mit welcher Urheberbezeichnung das Lied zu versehen ist oder in welcher Art und Weise es veröffentlicht werden soll. Andererseits steht der Urheberin das ausschließliche wirtschaftliche Verwertungsrecht ihres Werkes zu. Um ein Lied oder einen Liedteil rechtmäßig zu benützen, muss daher entweder von der Urheberin eine Einwilligung in Form eines „Lizenzvertrags“ eingeholt werden (das kann u.U. auch mündlich und stillschweigend erfolgen) oder ein gesetzlicher Tatbestand der sogenannten „freien Werknutzung“ vorliegen. Beispielsweise darf eine Kopie eines Lieds ohne Einwilligung für den privaten Gebrauch angefertigt werden.
Auch einer ausübenden Künstlerin – also der Person, die ein Werk bloß vorträgt, aufführt oder auf andere Weise darbietet – stehen gewissen Schutzrechte zu. Schafft sie kein eigenständiges Werk, ist sie zwar keine Urheberin, hat aber auch Rechte zum Schutz ihrer ideellen Interessen sowie Verwertungsrechte an ihrer Darbietung. Man spricht dabei von Leistungsschutzrechten.
„1, 2, 3 – die Aufnahme läuft“
Der Song ist fertiggeschrieben, das Cover aufgeführt: Der nächste Schritt ist häufig das Festhalten auf einem Tonträger, zum Beispiel einer Schallplatte, einer CD oder einem Server. Auch der „Tonträgerherstellerin“ – das kann ein Plattenlabel oder eine Musikproduzentin sein – steht ein Leistungsschutzrecht zu. Sie hat das ausschließliche Recht, den Schallträger zu vervielfältigen, zu verbreiten und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Anders als beim Urheberrecht der Komponistin werden nicht die akustischen Vorgänge an sich, sondern deren konkrete Festhaltung geschützt. Ein Beispiel: Beim Sound-Sampling wird oft ein nicht geschützter Teil einer Musikaufnahme in eine neue Komposition eingefügt. Damit greift man zwar nicht in die Urheberrechte der Komponistin ein, aber unter Umständen sehr wohl in die Leistungsschutzrechte der Tonträgerherstellerin.
„Yesterday, all my troubles seemed so far away”
Als Paul McCartney mit der Melodie des Songs „Yesterday“ im Kopf aufwachte, dachte er an Kryptomnesie zu leiden – dem Phänomen, dass die Idee von jemand anderem fälschlicherweise als eigene empfunden wird. Zum Glück des Superstars hat sich diese Befürchtung nicht bewahrheitet. „Yesterday“ wurde zu einem der erfolgreichsten Songs aller Zeiten – ohne in das Urheberrecht einer anderen Künstlerin einzugreifen.
Aber selbst, wenn eine idente Melodie von einer anderen Künstlerin existiert hätte, wäre die Veröffentlichung von „Yesterday“ nach österreichischem Recht nicht zwingend eine Urheberrechtsverletzung. Denn das UrhG kennt eine Doppelschöpfung: Komponiert eine Musikerin zufällig die gleiche Melodie wie bereits eine andere Musikerin vor ihr, entsteht ein paralleles und unabhängiges Urheberrecht. Eine solche Doppelschöpfung liegt allerdings nicht vor, wenn das Werk „unbewusst entlehnt“ wurde, also eine Kryptomnesie vorliegt. In einem allfälligen Prozess würde außerdem vermutet, dass das ältere Werk durch das jüngere übernommen wird. Ob McCartney vor einem österreichischen Gericht und nach österreichischem Recht die Entkräftung dieses Anscheinsbeweises gelingen würde, steht in den Sternen. „I didn’t believe I’d written it“ sollte er der Richterin jedenfalls lieber nicht gestehen.
Kurz gesagt
Lieder genießen als „Werke der Tonkunst“ urheberrechtlichen Schutz, sofern sie eine gewisse schöpferische „Eigentümlichkeit“ aufweisen.
Geschützt können sowohl das ganze Lied also auch einzelne Liedteile sein.
Um ein Lied oder einen Liedteil rechtmäßig zu verwerten, muss grundsätzlich entweder von der Urheberin eine Einwilligung eingeholt werden oder ein gesetzlicher Tatbestand der sogenannten „freien Werknutzung“ vorliegen.
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Julian Dorffner ist nicht nur ein virtuoser Gitarrist und Musikkenner. Als angehendem Juristen bereitet ihm auch der Umgang mit Paragraphen große Freude. Für seinen überzuckert-Gastbeitrag hat er nun ein großartiges Thema gefunden, um seine beiden Leidenschaften gleichermaßen in einen spannenden Text einfließen zu lassen. Das ist Musik in den Ohren unserer Leserinnenschaft, lieber Julian!
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