3-2-1-G: Dürfen Geimpfte bevorzugt werden?
Kaum vergeht ein Tag ohne Schlagzeilen zur Pandemie; kaum ein Thema erhitzt die Gemüter mehr. Da die vierte Welle laut Expertenmeinungen vor der Tür steht, werden wieder Rufe nach schärferen Maßnahmen laut: so fordern etwa immer mehr Landeshauptleute ein Ende der gratis Corona-Tests, in der Nachtgastronomie herrscht derzeit die „2G-Regel“ und eine Ausweitung auf weitere soziale Bereiche wurde bereits in den Raum gestellt. Dabei lässt sich eine klare Linie erkennen: Geimpfte sollen bevorzugt werden – aber inwiefern ist das rechtlich möglich?
Status quo: Dürfen Geimpfte derzeit besser behandelt werden als andere?
Rechtlich spricht nichts dagegen, dass zB ein Restaurant oder eine Freizeiteinrichtung einer Person nur dann Zutritt gewährt, wenn sie ihren Impfstatus nachgewiesen hat. Denn es steht einem Unternehmen (wie überhaupt jeder Person) grundsätzlich in seinem Belieben, mit wem es Geschäfte tätigt – Juristen bezeichnen das als „Privatautonomie“. Zwar verbietet das Gleichbehandlungsgesetz eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der ethnischen Zugehörigkeit; eine Unterscheidung nach dem Impfstatus fällt jedoch nicht darunter und ist somit erlaubt.
Wer könnte eine Besserstellung von Geimpften zwingend anordnen?
Rechtlich gesehen bräuchte es dafür eine Verordnung des Gesundheitsministers. Realpolitisch gesehen müsste er sie mit dem Koalitionspartner (ÖVP) und den Ländern abstimmen.
Was wäre dabei zu beachten?
Wichtig ist: eine Verordnung darf prinzipiell nur auf Grundlage eines Gesetzes erlassen werden. Man spricht deshalb vom Begriff „Durchführungsverordnung“ – gesetzliche Regelungen dürfen dadurch nur präzisiert werden; der Inhalt selbst muss durch das Gesetz vorbestimmt sein. Hier gibt insbesondere das Covid-19-Maßnahmengesetz den Rahmen vor, was der Gesundheitsminister in seiner Verordnung regeln darf. Entscheidend ist, dass dieses Gesetz eine Besserstellung von Geimpften gegenüber Getesteten bzw. Genesenen – innerhalb enger Grenzen – erlaubt. Überschreitet der Gesundheitsminister diese Grenzen jedoch, können sich betroffene Personen beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) beschweren, der die Verordnung insoweit aufheben müsste.
Selbstverständlich müssen in diesem Zusammenhang auch die Grundrechte beachtet werden. Denn das Covid-19-Maßnahmengesetz – und somit alle darauf basierenden Verordnungen – müssen sich an die Verfassung halten. Eingriffe in Grundrechte sind nur unter bestimmten Voraussetzungen gestattet. Insbesondere muss sich jede Ungleichbehandlung auf sachlich gerechtfertigte Gründe stützen.
Sind 2G/1G-Regeln also rechtlich zulässig?
Das Covid-19-Maßnahmengesetz erlaubt eine Besserstellung einer Gruppe (Geimpfte, Genesene, Getestete) nur, wenn dies „aus epidemiologischen Gründen unbedingt erforderlich“ ist. Die Eindämmung der Pandemie müsste also nicht anders möglich sein. Ob dies der Fall ist, hängt stark von medizinischen Prognosen ab. Erste Antworten wird hier ein bevorstehendes Erkenntnis des VfGH liefern: Da in der Nachgastronomie bereits seit Ende Juli eine 2G-Regel gilt, brachte ein oberösterreichischer Anwalt Beschwerde ein, weil er als Genesener Nachtlokale nicht mehr ohne Auflagen betreten darf – für die momentan angedachte 1G-Regel wird das Erkenntnis wegweisend sein.
Ein Lockdown nur für Ungeimpfte?
Eine Ausgangsbeschränkung, wie man sie aus den bisherigen Lockdowns kennt, ginge deutlich weiter als eine 1G-Regel, da sie Ungeimpften ja nicht nur den Zutritt zu bestimmten Freizeiteinrichtungen verwehrt, sondern generell das Betreten öffentlicher Räume verbietet. Dennoch wäre ein Lockdown für Ungeimpfte rechtlich nicht ausgeschlossen. Gretchenfrage wäre hier allerdings wiederum das Infektionsgeschehen und die ärztliche Einschätzung zu Ungeimpften, die eine solche Maßnahme unbedingt erforderlich machten. Jedenfalls müsste die Verordnung das Verlassen der Wohnung aus den im Covid-19-Maßnahmengesetz vorgesehenen Ausnahmen (Arbeit, Familie, Supermarkt, Erholung) erlauben. Darüber hinaus sieht das Gesetz in diesem Fall (Lockdown) zwingend einen Beschluss des Nationalrates vor. Sollte es zu einer entsprechenden Verordnung kommen, könnte letztlich wieder der VfGH über die Rechtmäßigkeit entscheiden – bis zur allfälligen Aufhebung wäre die Regelung aber verbindlich.
Kurz gesagt:
Bereits derzeit steht es privaten Unternehmen (Restaurants, Friseure, Kinos,…) frei, ungeimpften Personen den Zutritt zu verweigern.
Eine verpflichtende 2G/1G-Regel könnte der Gesundheitsminister per Verordnung erlassen. Dabei wäre er an die inhaltlichen Vorgaben des Covid-19-Maßnahmengestzes gebunden, das eine Besserstellung von Geimpften nur im epidemiologisch unbedingt erforderlichen Ausmaß erlaubt.
Ob eine 2G- bzw 1G-Regel (oder gar ein Lockdown für Ungeimpfte) rechtlich zulässig ist, hängt daher in erster Linie vom Infektionsgeschehen sowie der medizinischen Prognose zu Ungeimpften ab. Sollte diese die Verordnung nicht ausreichend stützen – oder wären Grundrechte verletzt –, droht eine Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof.
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